Zum Inhalt springen

So nah und doch so fern

„Jede Form von Bergbau hat Konsequenzen, das kann man nicht leugnen.“ © Oscar Choque
Lithium ist einer der wichtigsten Rohstoffe des 21. Jahrhunderts. Ein Großteil des weltweiten Vorkommens liegt im Uyuni-Salzsee, in der bolivianischen Hochebene. Natürlich ist der Lithiumreichtum eine große Chance für das Land, aber bisher lassen die positiven Effekte auf sich warten. Das hat verschiedene Gründe, über die ich mit Oscar Choque reden konnte. Oscar ist Fachpromoter für Rohstoffpolitik, Entwicklung und Migration des Eine Welt-Promotor*innen-Programms und Mitbegründer des Ayni Vereins für Ressourcengerechtigkeit e.V. In unserem Gespräch ging es außerdem um die ökologischen Risiken des Lithiumabbaus und darum, was eigentlich die Einheimischen über ihren „weißen Schatz“ denken.

Anmerkung: Das Interview wurde am 05.10.2021 geführt.

ALA: Oscar, wie ist die aktuelle Situation am Salar de Uyuni? Wurde bereits mit dem Abbau des Lithiums begonnen?

Oscar: Nein, bisher nicht. Das ist das große Problem in Bolivien. Da ein staatliches Unternehmen für den Abbau verantwortlich ist, kann man es sich aus wirtschaftlicher und unternehmerischer Sicht leisten, das Projekt immer wieder aufzuschieben. Bisher gibt es nur Produktionspläne und einige Pilotanlagen, aber es wird noch kein Lithiumkarbonat im industriellen Maßstab abgebaut, was eigentlich das Ziel war. Außerdem ist ein Joint Venture mit der deutschen Firma ACISA für die Produktion von Lithiumhydroxid geplant, das ein weiterer wichtiger Bestandteil für die Herstellung von Batterien ist. Tatsächlich gab es bereits ein Abkommen mit dem Unternehmen, was allerdings im Zuge der politischen Unruhen im Herbst 2019 von der damaligen Regierung wieder aufgekündigt wurde. Die MAS[1] möchte das Abkommen jetzt aber wiederbeleben.

ALA: Der Lithiumabbau ist auch mit Risiken, wie zum Beispiel dem Absinken des Grundwasserspiegels verbunden. Sind diese negativen Folgen am Salar de Uyuni also noch nicht spürbar?

Oscar: Nein. Wir können nur beobachten, was in Chile und in Argentinien passiert. Die Salzseen sind geschlossene Becken, die unter der Erde miteinander verbunden sind. Das heißt, wenn aus einem Salar Salzwasser entnommen wird, fließt Wasser aus dem anderen nach und das Grundwasser sinkt. Das Problem ist also, dass große Mengen Salzwasser entnommen werden, die dem Wasserkreislauf nicht wieder zugeführt werden und praktisch verschwinden. Die Folge ist, dass Talsenken, Flussauen, Feuchtgebiete und naheliegende Seen austrocknen. In Chile und in Argentinien ist das bereits der Fall, weil dort schon seit vielen Jahren Lithium abgebaut wird. Natürlich ist das ein großes Problem. In Bolivien wird das ebenfalls passieren, wenn das Lithium in industrieller Form gefördert wird.

ALA: Informiert die Politik die Einheimischen darüber?

Oscar: Nein, das ist ein zentrales Problem. Die Regierung hat industrielle Projekte immer unter Verschluss gehalten, was natürlich bei Projekten dieser Größenordnung auch strategische Gründe hat. Die bolivianische Position ist nicht ganz ohne. Bolivien ist eines der wenigen Länder, das sich gegen die USA und die internationalen Konzerne aufgelehnt hat. Viele Informationen werden also geheim gehalten, was natürlich Sinn ergibt, aber vor allem staatlichen und unternehmerischen Zwecken dient, nämlich der Produktion von Lithiumkarbonat. Bolivien ist eines der wenigen Länder, das schon vor Langem die ILO-Konvention 169 unterschrieben hat, die freie und informative Beratungen für und mit der lokalen Bevölkerung vorsieht, bevor entsprechende Projekte realisiert werden…

ALA: …und macht die bolivianische Regierung das nicht?

Oscar: Doch, aber das sind öffentliche Informationsveranstaltungen, das heißt Jede*r kann kommen, auch Menschen aus anderen Regionen, die gar nicht direkt vom Lithiumabbau betroffen sind. Das wurde auf politischer Ebene durchgesetzt. Jedes Bergbauprojekt benötigt die Einwilligung der vor Ort lebenden Bevölkerung und natürlich sollte das möglichst schnell passieren, denn man muss bedenken, dass eine Legislaturperiode nur vier bis fünf Jahre dauert. Natürliche Rohstoffe, und in diesem Fall Lithium, werden in Bolivien als eines der zentralen Mittel zur Krisenbewältigung angesehen. Die vorausgehenden Beratungen, die eigentlich frei zugänglich, unvoreingenommen und informativ sein sollten, werden also oft rasch über die Bühne gebracht, um das Projekt möglichst schnell realisieren zu können – und es funktioniert.

ALA: Sind die Einheimischen am Uyuni-Salzsee für oder gegen den industriellen Lithiumabbau? Er könnte ja auch eine wirtschaftliche Chance bieten…

Oscar: Das ist eine grundsätzliche Frage im Bergbau. Viele Bolivianer*innen befürworten den Bergbau, weil er seit der Kolonialzeit unsere Tradition ist. In den Regionen der Salzseen gibt es keine Alternativen zur Landwirtschaft und natürlich wünschen sich die Menschen dort Entwicklung und Arbeitsplätze. Die meisten Bolivianer*innen wollen, dass sich die Lithiumindustrie möglichst schnell entwickelt. Sie sind also nicht per se dagegen.

ALA: Liegt das auch daran, dass die Folgen bisher noch nicht spürbar sind?

Oscar: Ja, das ist natürlich eine Erklärung. Aber man kann nicht sagen, dass wir die Folgen des Bergbaus in Bolivien nicht kennen. Trotzdem haben wir uns nie dagegengestellt. Wenn sich die Denkweise der Menschen nicht wandelt, wird sich nie etwas ändern, selbst wenn wir die Folgen in 20 oder 30 Jahren sehen.

Salzlauge in einem Verdunstungsbecken am Salar de Uyuni. Foto: Oscar Choque, 2019
ALA: Warum ist das so?

Oscar: Die bolivianische Regierung verspricht, sagen wir, 10.000 indirekte Arbeitsplätze, die an den drei Salzseen durch die geplanten Projekte entstehen sollen. Natürlich befürworten die Einwohner*innen das. Die Bergbauindustrie macht ständig große Versprechungen, wie die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Aber meist tritt das nicht ein, weil diejenigen, die in den Fabriken der konventionellen Bergbauindustrie arbeiten Ingenieure sind und die Einheimischen nur die einfachen Arbeiten erledigen. Um den für die Batterieproduktion notwendigen Verarbeitungsgrad zu erreichen wird viel Knowhow benötigt, das wir natürlich nicht haben und das die Einheimischen nie erreichen werden. Sie können nur in der Kantine, im Transportwesen oder als Putzkräfte arbeiten. Die Wirtschaft verspricht also Arbeitsplätze, die in der Menge gar nicht entstehen werden. In den Städten ist das vielleicht schon eher der Fall, weil vor allem hoch qualifizierte Arbeitskräfte benötigt werden.

ALA: Das Problem ist also, dass die lokale Bevölkerung wahrscheinlich gar nicht so sehr vom Lithiumabbau profitieren wird?

Oscar: Wahrscheinlich, ja. Momentan können wir nur mutmaßen, aber in Chile ist das beispielsweise der Fall.

ALA: Dort kommen viele Arbeiter*innen vor allem aus Santiago und von der Küste, oder?

Oscar: Ja, die meisten Menschen, die für SQM oder Albemarle[2] arbeiten kommen von außerhalb. Die wenigsten sind Einheimische. In Bolivien wird das nicht anders sein.

ALA: Besteht denn die Möglichkeit den Lithiumabbau so zu gestalten, dass er sowohl eine wirtschaftliche Chance als auch sozialökologisch verträglich ist?

Oscar: Jede Form von Bergbau hat Folgen, das kann man nicht leugnen. Ich befürchte, dass am Salar de Uyuni die gleichen Probleme auftreten werden wie in Chile oder Argentinien. Trotzdem können wir viel von dort lernen. In Chile wird zum Beispiel der Wasserpegel des Salzsees überwacht. Vor allem muss aber die Verunreinigung des Grundwassers begrenzt werden, die mit der Lithiumgewinnung einhergeht, also die Vermischung von Süß- und Salzwasser. Wenn große Mengen Salzwasser aus dem See entnommen werden, fließt Wasser vom Ufer ins Innere nach, was nicht nur zum Absinken des Grundwasserspiegels, sondern auch zur Verunreinigung des Grundwassers durch Salzwasser führen kann. Es dürfte also nur so viel Salzwasser entnommen werden, dass der Wasserpegel des Sees nicht sinkt. Das heißt auch, dass der Grundwasserspiegel durchgehend kontrolliert werden müsste.

ALA: Und wäre das möglich?

Oscar: In Bolivien noch lange nicht, nein! Es gab zwar eine sogenannte „ökologische Bewertung“ in deren Rahmen an einigen Orten Analysen gemacht wurden, die positiv ausfielen. Diese Studie war Grundlage für die Genehmigung der Abbauaktivitäten, allerdings war sie sehr oberflächlich. Auch eine hydrologische Studie zu den Folgen der Salzwasserentnahme ist bisher unvollständig. Wir hoffen, dass die Forschung bald neue Erkenntnisse dazu bringt. Das Problem ist, dass wir zwar ein Umweltministerium haben, aber nicht die Voraussetzungen für eine regelmäßige Kontrolle und Überwachung der Salzseen. Das höchste Ziel in Bolivien ist gerade, so schnell wie möglich in großen Mengen zu produzieren. Natürlich wollen wir das alle, denn es hat schließlich auch positive Seiten, wie die Förderung der lokalen Industrie. Es gibt zum Beispiel die Autofabrik „Quantum“ in Cochabamba, die kleine Elektroautos mit den Batterien aus den Pilotanlagen von YLB[3] produziert.

ALA: Die Herstellung von Batterien oder gar ganzen Elektroautos war auch ein Ziel der Regierung von Evo Morales.

Oscar: Natürlich werden wir nie ganze Autos produzieren können, weil uns hier die berühmten industriellen „Cluster“ fehlen. Außerdem müssten wir weitere Rohstoffe aus anderen Staaten einkaufen, wie Kobalt aus dem Kongo. In dieser Hinsicht haben wir das gleiche Problem wie die Industrieländer. Zusätzlich müssen wir aber auch Technologie und Knowhow importieren, zum Beispiel aus Deutschland, was die Idee der Kooperation mit dem deutschen Unternehmen ACISA war. Das heißt, wir werden immer abhängig sein. Aber auf niederschwelligem Niveau gibt es durchaus Ideen, die auch aus Chile oder Argentinien kommen. Zum Beispiel die Produktion von kleinen Batterien für Elektrofahrräder, die viel auf dem Land gebraucht werden, und den Aufbau entsprechender Photovoltaik-Ladestationen. Vor allem müssen in Bolivien aber Alternativen zum konventionellen Bergbau im Allgemeinen und auch zum Lithiumabbau gefunden werden. Es gibt so viel Potenzial in der Region! Sowohl natürliches als auch traditionelles.

Lagerung von Kaliumchlorid in einer Halle der Pilotanlage am Salar de Uyuni. Foto: Oscar Choque, 2019
ALA: Eine Alternative ist der Tourismus. Viele Tourist*innen kommen in die Region, um sich den Uyuni-Salzsee anzusehen. Siehst du Konfliktpotenzial zwischen der Lithiumindustrie und der Tourismusbranche?

Oscar: Ja, auf jeden Fall. In Chile ist das schon der Fall, weil gerade die kommerzielle Tourismusbranche auch einen großen Wasserverbrauch hat. Außerdem werden touristische Sehenswürdigkeiten durch die Lithiumindustrie zerstört. Der Tourismus ist aber die naheliegendste Alternative zum Lithiumabbau. In Bolivien spielt außerdem der Quinoa-Anbau eine zentrale Rolle, denn die beste Quinoa Boliviens kommt aus der Region des Uyuni-Salzsees. Der Quinoa-Anbau sollte also besonders gefördert werden, was der Staat auch schon versucht hat. Bolivien hat eine sehr lange landwirtschaftliche Tradition. All diese Erfahrungen, die wir über Jahrhunderte gesammelt haben, sollten genutzt werden, um eine Alternative für die Menschen zu schaffen. Denn, wie gesagt: Die meisten Einheimischen werden nicht in der Lithiumindustrie arbeiten können.

ALA: Heißt das, es besteht auch ein Konflikt mit der Landwirtschaft und den traditionellen Lebensformen der lokalen Bevölkerung?

Oscar: In den Regionen der Salzseen sind viele Sektoren mit der Lithiumindustrie verwickelt, natürlich kommt es da zu Konflikten. Aber, wie schon gesagt, wird uns beigebracht, dass der Bergbau das höchste Gut ist. Wir werden nicht über die Vorteile von Landwirtschaft und Viehzucht aufgeklärt. Natürlich betrachten die Menschen den Bergbau dann als Lösung. In Chile und Argentinien ist das nicht anders. Es ist enorm, wie stark die Bergbauindustrie über Partnerschaften mit Schulen für sich wirbt. Das ist Lobbyismus. Und es zeigt, dass die Regierung die Einmischung der Industrie in die Bildung duldet. Trotzdem ist unser Bildungssystem etwas anders als in Chile oder Argentinien. Die MAS-Regierung versucht es seit ihrem Amtsantritt 2008/2009 zu reformieren und besagten traditionellen Aspekten wieder eine größere Rolle zu geben.

ALA: Was wünschst du dir von der bolivianischen Politik?

Oscar: Mein Wunsch wäre, dass sich die Projektplanungen der internationalen Nachfrage und ihren Anforderungen anpassen. Natürlich verlangt diese große Mengen Rohstoffe, aber sie verändert auch den Markt. Mittlerweile gibt es zum Beispiel das von Deutschland beschlossene Lieferkettengesetz und andere Gesetze, die versuchen, Nachhaltigkeit und die Einhaltung von Menschenrechten entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu garantieren. Es geht also darum, dass grundlegende Anforderungen erfüllt werden, denn letztendlich ist es der internationale Markt, der unsere Rohstoffe kauft. Das muss die bolivianische Regierung im Blick haben. Vor allem mit der Wasserthematik muss sich auseinandergesetzt werden. Probleme in der Wasserversorgung betreffen zwangsläufig die Menschenrechte.

[1] MAS steht für „Movimiento al Socialismo“ (Bewegung zum Sozialismus) und ist die Partei des ehemaligen Präsidenten Boliviens, Evo Morales, der im Zuge massiver politischer Proteste im Herbst 2019 unfreiwillig zurücktrat. Bei den Neuwahlen im Jahr 2020 wurde die MAS jedoch wieder gewählt und stellt seitdem mit Luis Arce, ehemaliger Wirtschafts- und Finanzminister unter Morales, den Präsidenten.
[2] SQM und Albemarle sind die beiden Unternehmen, die am Salar de Atacama in Chile das Lithium abbauen.
[3] YLB (Yacimientos de Litio Bolivianos) ist das staatliche Unternehmen Boliviens, das für den Lithiumabbau am Salar de Uyuni verantwortlich ist und die Abbaurechte besitzt.

Wenn dich das Thema Lithium interessierst, kannst du hier mehr über die Hintergründe des Lithiumabbaus an südamerikanischen Salzseen lesen.

2 Gedanken zu „So nah und doch so fern“

  1. Ein sehr interessantes Interview! Oscar bezieht sich auf Erfahrungen in Chile und Argentinien. Vielleicht könntest du darüber ein wenig aufklären? Das Thema ist so wichtig für uns in Europa. Wir wollen eine Klimawende und das u.a. mit Elektromobilität, aber welche umweltschädlichen und sozialökonomischen Auswirkungen das haben kann, ist doch vielen unklar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert