Lithium ist einer der wichtigsten Rohstoffe des 21. Jahrhunderts, vor allem für die Elektromobilität spielt es eine zentrale Rolle. Doch während E-Autos in „westlichen“ Ländern als besonders umweltfreundlich gelten, hat der Rohstoffabbau in anderen Teilen der Erde massive sozioökologische Auswirkungen – unter anderem im lateinamerikanischen Lithiumdreieck, wo mehr als die Hälfte der globalen Lithiumressourcen liegen.
Auch wenn die Grünen die Wahl nicht gewonnen haben: Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie die nächste Legislaturperiode maßgeblich mitgestalten werden. Und wenn es nach ihnen geht, sollen ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos zugelassen werden. Bis dahin sollen bereits mindestens 15 Millionen E-Autos auf Deutschlands Straßen unterwegs sein.[1] Am 1. April lag deren Anteil gerade einmal bei 365 262 (bzw. bei 714 600 mit Plug-in-Hybrid-Autos).[2] Es ist also noch einiges zu tun.
Dass die Umgestaltung des Verkehrssektors eine zentrale Aufgabe in der Bekämpfung des Klimawandels ist und die Elektromobilität dabei eine wichtige Rolle spielt, ist keine Frage. Trotzdem muss auch über ihre Schattenseiten geredet werden, denn auch die E-Mobilität ist nicht zu 100% ökologisch. Solange zum Beispiel unser Strom noch mithilfe von Braunkohle produziert wird, sind E-Autos eigentlich nicht komplett emissionsfrei.
Boliviens Schatz
Und dann ist da noch die Frage des Rohstoffabbaus. Zentraler Bestandteil der wiederaufladbaren Lithium-Ionen-Akkus (die übrigens nicht nur in E-Autos, sondern auch in unseren Tablets, Notebooks und Smartphones stecken) ist – wer hätt’s gedacht – Lithium. Und das liegt vor allem in Südamerika: Schätzungen der US-Geologie-Behörde zufolge lagern knapp 60% der weltweiten Lithiumressourcen in den Salzseen des sogenannten Lithiumdreiecks zwischen Argentinien, Bolivien und Chile. Allein der Uyuni-Salzsee in Bolivien birgt rund 21 Millionen Tonnen, was einem globalen Anteil von 24% entspricht.[3] Damit besitzt der Andenstaat die größten bisher entdeckten Lithiumvorkommen der Welt.
Dort wird das „weiße Gold“ zwar noch gar nicht abgebaut, im Nachbarland Chile allerdings schon. Seit den achtziger Jahren wird dort Lithium aus dem Atacama-Salzsee gewonnen – mit Folgen für Mensch und Natur:
Der hohe Wasserverbrauch der Lithiumindustrie
Die zentrale Problematik des Lithiumabbaus ist sein hoher Wasserverbrauch: Je nach chemischer Zusammensetzung der Salzlauge, werden für eine Tonne Lithiumkarbonat fünf bis 50 m³ Frischwasser benötigt (s. Infokasten).[4] Damit können ungefähr 100 Autobatterien hergestellt werden. Das mag erstmal moderat klingen, wenn man bedenkt, dass für eine Tonne Kupfer im Schnitt 74 m³ Wasser benötigt werden.[5] Doch genau hier liegt das Problem: Es wird eben nicht nur Lithium in der Atacama-Wüste gefördert, sondern auch zahlreiche andere Rohstoffe (unter anderem Kupfer) und deren Gewinnung benötigt große Mengen an Wasser. Gleichzeitig ist die Region jedoch eine der trockensten Orte der Welt, die jährliche Niederschlagsmenge kann dort weniger als 30 l/m² betragen (zum Vergleich: In Berlin lag dieser Wert im Jahr 2020 bei 492 l/m²).[6] Die ohnehin schon unter Wasserstress leidende Region wird also zusätzlich durch den hohen Wasserverbrauch der Rohstoffindustrien belastet.
INFO
Lithiumabbau einfach erklärt
Das Lithium ist in der Lauge unterhalb der mächtigen Salzkruste des Sees gelöst. Diese Salzslauge wird in große und flache Verdunstungsbecken gepumpt, wo sie einige Monate verbleibt, bis sie durch Wind und Sonne auf einen sehr hohen Lithiumgehalt konzentriert ist (aufgrund der klimatischen Bedingungen – viel Sonne, wenig Niederschlag – ist dieser Verdunstungsprozess im Lithiumdreieck besonders effektiv). Anschließend wird die konzentrierte Lauge in Aufbereitungsanlagen befördert, wo durch chemische Prozesse reines Lithiumkarbonat gewonnen wird, der Stoff, der in Lithium-Ionen-Batterien verarbeitet ist. Für diesen Prozess werden große Mengen an Frischwasser benötigt. Der gesamte Vorgang dauert zwölf bis 24 Monate, ist also relativ langwierig.[4]
Was bedeutet das konkret?
Sowohl der Verbrauch von Frischwasser als auch das Abpumpen der Salzlauge aus dem See führen zum Absinken des Grundwasserspiegels. Das gefährdet nicht nur das lokale Ökosystem, sondern ist auch insofern problematisch, als dass das Grundwasser die primäre Wasserquelle in der Region ist (es regnet ja kaum). Und weil es so trocken ist, kann der Grundwasserspeicher nicht ohne Weiteres durch Regenwasser wieder aufgefüllt werden. Das birgt große soziale und ökologische Risiken:[7]
- Schon kleine Veränderungen im Wasserhaushalt können zu einem dramatischen Rückgang der Vegetation führen. Davon sind besonders die für das andine Hochland typischen Moore betroffen, deren Erhalt vom Grundwasserspiegel abhängig ist. Sie sind die wichtigsten Lebensräume für Flora und Fauna und essenziell für die Haltung von Lamas und Alpakas.
- Das Absinken des Grundwasserspiegels bedroht also nicht nur das einzigartige Ökosystem, sondern stellt auch eine wirtschaftliche Gefahr für die lokale Bevölkerung dar, die vor allem von Landwirtschaft und Viehzucht lebt. Außerdem kann es zu Wassernutzungskonflikten mit der Tourismusbranche kommen, die eine weitere wichtige Einkommensquelle für die Menschen vor Ort ist. Viele von ihnen sind indigener Abstammung, sodass diese Bevölkerungsgruppe besonders stark von den Folgen des Lithiumabbaus betroffen ist.
- Wie viele andere indigene Völker in Lateinamerika, leben auch die Atacameños nach der Philosophie des Buen Vivir (s. Infokasten). Die Zerstörung des Ökosystems hat für sie also nicht nur eine wirtschaftliche Dimension, sondern auch eine kulturell-spirituelle und bedeutet in doppelter Hinsicht die Gefährdung ihrer Lebensgrundlage.
- Diese Probleme können den ohnehin schon existierenden Trend der Landflucht noch verstärken, sodass vor allem junge Menschen vom Land in die Städte ziehen, was zu Spaltungen oder gar dem Zerfall (indigener) Gemeinden führen kann. Außerdem birgt der Wassermangel das Potenzial für gewaltsame Konflikte in der Region.
Der hohe Wasserverbrauch der Rohstoffindustrie kann also zu einer negativen Kettenreaktion führen, die in Chile teils schon in Gang ist und in Bolivien noch droht, wenn das „weiße Gold“ dort zukünftig in großen Mengen abgebaut wird. Ähnliche Probleme beschäftigen übrigens auch die Abbauregionen in Argentinien, dem dritten Land im Lithiumdreieck.
INFO
Die Philosophie des Buen Vivir
Der brasilianische Theologe Leonardo Boff beschreibt sie so: „Das Buen Vivir (Gutes Leben) verweist auf eine Ethik, die die Gemeinschaft im Blick hat, nicht nur das Individuum. Das Buen Vivir umfasst eine integrative, ganzheitliche Sicht auf den Menschen, verwurzelt in der großartigen Gemeinschaft der Erde, die – neben menschlichen Wesen – Luft, Wasser, Boden, Berge und Tiere einschließt. Es geht darum, in einer tiefgründigen Gemeinschaft mit Pachamama (Mutter Erde) zu leben, mit den Energien des Universums und mit Gott.“ [8]
Kann Lithium also weg?
Nein, auf keinen Fall! Der Rohstoff ist die Basis für eine nachhaltige Elektromobilität, die es unbedingt braucht, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Trotzdem ist es aber wichtig, dass wir uns in Deutschland und in anderen „westlichen“ Ländern, in denen die Elektromobilität gerade boomt, bewusst sind, dass in anderen Teilen der Welt durchaus (ökologische) Schäden verursacht werden (man denke auch an den Kobaltabbau im Kongo). Nur weil unsere E-Autos hier also keine Emissionen aus dem Auspuff blasen, heißt das nicht, dass ihr ökologischer Fußabdruck gleich Null ist – in gewisser Weise werden die negativen Folgen in andere Länder ausgelagert (und dann ist da ja noch das Thema Braunkohle).
Trotzdem braucht es Lithium und trotzdem bleiben die lateinamerikanischen Salzseen eine der wichtigsten Quellen des „weißen Goldes“. Und gerade deshalb haben die Regierungen Argentiniens, Chiles und Boliviens großes Interesse daran den Rohstoff zu fördern – die Frage ist nur wie.
Darüber und über viele weitere spannende Fragen habe ich mit dem bolivianischen Rohstoffexperten Oscar Choque geredet. Das Interview findet ihr hier.
Quellen:
[1] Bündnis 90/Die Grünen. Bundestagswahlprogramm 2021, S.34 (letztes Abrufdatum: 05.09.21)
[2] Statista, 2021 (l. A.d.: 05.09.21)
[3] U.S. Geological Survey, 2021. Mineral Commodity Summaries 2021, S. 99 (l.A.d.: 07.09.21)
[4] Flexer et al., 2018. Lithium recovery from brines: A vital raw material for green energies with a potential environmental impact in its mining and processing. Science of the Total Environment 639, 1188 – 1204
[5] Gilsbach, L., Dorner, U., 2020. Kupfer. Informationen zur Nachhaltigkeit. Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, S. 14 f.
[6] Statista, 2021 (l.A.d.: 09.09.21)
[7] Aitken et al., 2016. Water Scarcity and the Impact of Mining and Agricultural Sectors in Chile, Sustainability 8 (128), 1 – 18
Anlauf, A., 2015. Secar la tierra para sacar litio? Conflictos socio-ambientales en la minería del litio. In: Nacif, F., Lacabana, M. (Eds.),
ABC del litio sudamericano. Soberanía, ambiente, teconología e industria. Centro Cultural de la Cooperación Floreal Gorini, Universidad
Nacional de Quilmes, Buenos Aires, 171 – 192
Molina Carpio, J., 2007. „Agua y recursos hídricos en el sudoeste de Potosí“, FOMADE/CGIAB, La Paz
Romero, H. et. al., 2012. Mining Development and Environmental Injustice in the Atacama Desert of Northern Chile. Environmental
Justice 5 (2), 70 – 76
[8] Acosta, A., 2012. The Buen Vivir. An Opportunity to Imagine Another World. In: Heinrich Böll Foundation (Eds.), Inside a Champion. An
Analysis of the Brazilian Development Model. Rio de Janeiro, 192 – 210
Ja stimmt eigentich. Wir exportieren mal wieder ökonomische und ökologische Risiken in eine andere Region der Welt , damit wir unsere Probleme hier in den Griff bekommen. Aber wie soll der ökologische Umbau in eine sozialverträgliche Ökonomie funktionieren, wenn Rohstoffgewinnung immer auch notwendige Ressourcen unwiderruflich verbraucht und zerstört? Die Quadratur des Kreises?